Blogbeitrag
2016
Barbara Höllers Liniengeflechte und -konstruktionen strahlen eine Klarheit und nüchterne Ruhe aus, die wie losgelöst von der Unordnung der Welt und der Unplanbarkeit des Lebens scheint. Wenn die Künstlerin dann auch noch darauf hinweist, dass der Umsetzung ihrer Werke lange und intensive Denkprozesse vorausgehen, verführt das noch mehr, ihre Liniengeflechte als reine „Hirngespinste“ zu interpretieren, die der puren Freude an Form und Geometrie entspringen und ganz weit weg sind von der Alltagsrealität. Doch weit gefehlt. Höller reflektiert in ihren Bildern oft ganz konkrete Themen: Politische Realitäten werden auf ihre Essenz reduziert und in Installationen umgesetzt, der eigene Charakter als „kleinkariert“ reflektiert und ebenso ins Bild gesetzt, die Materialität von Farbe erforscht oder der architektonische Raum thematisiert. Und manchmal sind es wirklich „nur“ Hirngespinste, künstlerische Geometrie.
Woran Höller vor der Umsetzung so lange tüftelt, sind Regeln. Jedes Werk wird bis ins kleinste Detail durchdacht und möglichst vordeterminiert. Am besten soll nichts dem Zufall überlassen werden, das Konzept möglichst perfekt sein, bevor es an die Arbeit geht. Trotzdem kommt es dabei manchmal zu Überraschungen – wenn die Farbe sich zum Beispiel nicht so verhält, wie angenommen. Wenn das Acryl, aus einer Spritze mit Abstand auf den flach liegenden Bildträger gedrückt, sich am Weg nach unten kringelt, statt ein gerader Strich zu werden. „Kringeln hab ich nie wollen. Ich finde Kringel grauenvoll – Spitzendeckerln sind für mich das Letzte! Aber das Konzept war so, es musste so sein! Die Farbe hat sich gekringelt, was soll ich machen!“, sagt Höller. Die (selbst auferlegten) Regeln werden eingehalten, die Serie wird mit Kringeln fertiggestellt, ob es der Künstlerin nun gefällt oder nicht.
Bei allen unterschiedlichen Themen und Interessensbereichen, die Höller in ihren Werken reflektiert, gibt es eine Thematik, die sich dabei wie ein roter Faden durch ihr ganzes Schaffen zieht: Die Perspektive. Variantenreich und aus unterschiedlichsten Perspektiven 😉 reflektiert Höller die Perspektive und die ständige Möglichkeit ihres Wechsels.
Für die Werkserien Concurrent access und pearl angle hat Höller beispielsweise (Ausstellungs-)Räume vermessen und am Computer in ein Architekturprogramm einspeist, mit dessen Hilfe sie dann ganz bestimmte Blickwinkel auf/in diesen Raum auswählte. Wo und wie stoßen Raumlinien zusammen? Kanten, Ecken, Fenster- und Türrahmen, Kreuzungspunkte, Fluchtlinien. All das wird auf die größte Klarheit fokussiert, zu einem Liniengeflecht, das Barbara Höller dann exakt auf Aludibondplatten überträgt.
Oder die Serie „Kanten“ (das ist die, wo es zu den Kringeln kam), wo die gewohnte Perspektive auf den Bildträger verlassen wird und statt der Bildfläche die Bildkante zum Malgrund wird. Dementsprechend sind die Bilder auch zu hängen: hochkant, mit der schmalen Seite nach vorne, mehrere Kanten in bestimmtem Abstand nebeneinander. Durch die Tiefe, die dadurch entsteht, verändert sich das, was der Betrachter_die Betrachterin sieht, verhältnismäßig stark, sobald er_sie seinen_ihren Standort/seine_ihre Perspektive ändert.
Mitunter zwingt Höller auch Kurator_innen zum Perspektivwechsel: Wenn sie in der Serie „Charts“, die aus 120, nach einem bestimmten Farbschema gestalteten und aufrecht nebeneinander gehängten Aluminiumstangen besteht, die Reihenfolge der Hängung, die das in der Zusammenschau entstehende Muster bestimmt, den Ausstellungsmacher_innen überlässt und sie damit ein Stück weit aus der Perspektive des Künstlers_der Künstlerin agieren lässt.
Zu derartigen Imaginationsleistungen, wie sie Barbara Höller hier den Kurator_innen abverlangt, lädt sie in ihrer neuesten Serie auch den Ausstellungsbesucher ein. Table of four: Ein vierteiliges Werk, bestehend aus vier im Viereck gehängten Bildern – zwei oben, zwei unten. Auf den Bildern breite Linien in hell- und dunkelviolett. Die dunkelviolette Linie schließt jeweils im nächsten Modul an, so dass sich eine geschlossene Form ergibt. „Wenn man alle Module um 90° dreht, schließen sich dann die hellvioletten Linien zu einer Form zusammen“ sagt sie, und schon beginnt das Betrachter_innenhirn zu arbeiten und versucht sich vorzustellen, wie das dann wohl aussehen würde. Ob die Bilder in einer Ausstellung drehbar montiert werden, frage ich. Nein, sagt sie – das sei nicht nötig, darum gehe es eigentlich nicht. Es geht um das Wissen, dass es möglich wäre und darum, gerade diesen Denk- und Vorstellungsprozess auch beim Betrachter_bei der Betrachterin auszulösen. Barbara Höller fordert den Betrachter_die Betrachterin heraus, sie stößt ihn_sie an, sein_ihr logisches Denken, seine_ihre Vorstellungskraft zu bemühen, seine_ihre Perspektive zu wechseln.
Bei aller (scheinbaren) Strenge, Nüchternheit und Vordeterminiertheit bleiben Höllers Werke also stets beweglich, spielerisch, offen und flexibel – und fordern das Selbe auch von ihren Rezipient_innen.
Es mag nun vielleicht gar nicht mehr besonders überraschen, dass Barbara Höller Mathematik studiert hat. Die Liebe zu den klaren Regelwerken und Vorgaben der Mathematik, zur Möglichkeit, Realität mittels abstrakter Systeme darzustellen, bestimmt auch maßgeblich Höllers künstlerisches Denken. Ihre Kreation liegt im Schaffen des Systems. Ein großer Teil von Höllers Schöpfungsprozess findet im Kopf statt. Regeln werden ausgetüftelt, Parameter bestimmt, nachgedacht, ausgefeilt, gegrübelt. Erst wenn das System im Kopf (möglichst) perfekt ist, wird es umgesetzt. Extrem gesprochen könnte man sagen, Höller spiegelt in ihrem Schaffensprozess „Gott und die Welt“ wider. Im Ersinnen des Systems ist sie Gott. Sie legt die Regeln fest, die das System bestimmen. Und dann wird sie zum Mönch, der sich den Regeln seines Gottes unterwirft, sie systemkonform und willenlos umsetzt und dabei in einen meditativen Zustand verfällt über den er sogar manchmal Zeit und Körper vergisst. Ein weiterer Perspektivwechsel also, der Höllers Werken allein schon durch ihren Entstehungsprozess immanent ist.