Text im Katalog Overlay, Stein Verlag
erschienen 2020
…ist wohl jener Kommentar zu ihren Arbeiten, den Barbara Höller am wenigsten hören mag. Verständlicherweise, denn dieser reduziert ihre durchdringenden und vielschichtigen Arbeiten auf eine ästhetische oder vielmehr auf eine mit schön bezeichnete ästhetische Perspektive. Ich bin jedoch der Meinung, dass dieses Als-Schön-Wahrnehmen eine wesentliche, vielleicht sogar eine werkimmanente Herausforderung ihrer Arbeiten darstellt.
Dem Aspekt des Ästhetischen wird in den Auseinandersetzungen mit ihrem künstlerischen Schaffen jedoch kaum Bedeutung zugemessen und scheint damit im Widerspruch zu eben jenem Attribut schön zu stehen, das ihren Arbeiten so gerne attestiert wird. Diese Zuschreibung könnte jedoch etwas zu artikulieren suchen, das schwer in Worte zu fassen ist: jene unmittelbare Anziehungskraft, jenen puren und direkten Sog, den ihre Arbeiten in all ihrer Komplexität, Konzeptualität und Experimentalität auslösen.
In Anbetracht ihres langjährigen und umfassenden Schaffens, weist Barbara Höller eine in der heutigen Kunstwelt rar gewordene Stringenz und Konsequenz auf. Denn sie war und ist stets nicht nur Künstlerin, sondern auch Forscherin – keineswegs im Sinne einer aktuellen Trendwelle, sondern von einem fokussierten Interesse und einem systematisierten (Er-) Forschungsdrang geleitet. Ihre Arbeitsweise, die zuweilen einer wissenschaftlichen Herangehensweise analog anmutet, entspricht sowohl ihrer Ausbildung zur bildenden Künstlerin mit Schwerpunkt Malerei als auch dem (nicht abgeschlossenen) Studium der Mathematik. Diese Dualität prägt ihren künstlerischen, im Prozess forschenden Zugang und lässt auch ihrer Vorliebe für – salopp gesprochen – Raster, Linien und geometrische Figuren begründen. Auch in den jüngeren Produktionsserien zu Interferenzen – vor allem hinsichtlich der Erforschung von Strukturen, Mustern und Prinzipien – ist diese Neigung unschwer erkennbar.
Mit Interferenz wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine reziproke Überlagerung, eine sich gegenseitig bedingende Überschneidung oder eine aus Gegensätzen entstehende Überlappung bezeichnet. Im Bereich der Physik und Technik bedeutet Interferenz wiederum eine Überlagerungs-erscheinung, die konkret beim Zusammentreffen von Wellen evident wird. Zentrale Merkmale dieser Erscheinung sind abwechselnde Maxima und Minima in der Intensität. Im Prozess der Überlagerung werden – vereinfacht dargestellt – konstruktive, sich ergänzende Überschneidungen, Zusammenstöße und Verschiebungen sowie destruktive, sich auslöschende Überlagerungen und Divergenzen wirksam. Aus dieser regulierten Wechselwirkung von Intensitäten entsteht ein Gesamtbild, das sich in (scheinbarer) Harmonie zu einem Ganzen zusammenfügt.
Harmonie hat seit jeher das Verständnis von Ästhetik – von Platon über Baumgarten, natürlich auch bei Kant – geprägt und bezeichnet eine Vereinheitlichung oder zusammenführende Übereinstimmung von Gegensätzlichem und Widersprüchlichem zu einem Ganzen. Dabei wird die Bedeutung von Harmonie für das seelische Wohlgefühl, das Gefühl des Erhabenen und Schönen betont, wobei Harmonie eine eher im Verborgenen liegende, kaum feststellbare, aber dennoch unmittelbar wahrnehmbare Übereinstimmung meint. Das Wahrnehmen oder Empfinden von Harmonie – wie etwa beim Betrachten eines Bildes oder Kunstobjekts – ruft ein Gefühl von Einheit, Einfachheit und Leichtigkeit, ja Ausgeglichenheit hervor und lässt uns etwas als schön erfahren und bezeichnen.
Mit Harmonie könnte folglich die ästhetische Anziehungskraft der Arbeiten von Barbara Höller erschlossen werden: Von einer expliziten Fragestellung oder dem jeweiligen Interessensfokus – in diesem Fall an Interferenzen – ausgehend, wird der künstlerischen Herangehensweise ein feinsinnig erschlossenes Regelwerk hinterlegt, das den Arbeitsprozess nach spezifischen Parametern ausrichtet. Dieses ist oft aus einem mathematischen oder vielmehr physikalischen Verfahren abgeleitet. Durch das Wechselspiel dieser unterschiedlichen, einem Material oder einem geometrischen Prinzip zugeordneten Vorgaben, werden aus dem Spannungsfeld des (scheinbar) Widersprüchlichen neuartige Konstellationen erprobt und zu einem harmonischen Ganzen oder Gesamtbild zusammengefügt.
Die mittels dieses regulierten Arbeitsprozesses entstehenden Objekte auf ihre harmonische Wirkung beschränken zu wollen, würde jedoch der Komplexität von Höllers Arbeiten widersprechen und auch eine simplifizierende Auslegung von Ästhetik bedeuten. Denn bei aller erforschenden Herangehensweise, allem systematischen Eintauchen und strukturierten Erfassen von Fragestellungen über Materialität, räumliche Bezüge und geometrisch bedingte Prinzipen, ist es der parallele und durchaus lustvolle Bruch mit dem (eigenen) systematisierten Prozedere, der sich als rote Linie durch ihr Schaffen zieht.
Dieser Essay von Siglinde Lang basiert auf deren Rede anlässlich der Ausstellung „Overlay“, die im April 2018 in der Galerie Göttlicher in Krems an der Donau eröffnet wurde. Siglinde Lang ist freie Kulturwissenschaftlerin, Kuratorin und Dozentin.